Gespinstmotte

Vollstress für die Obstbäume

VON ANGELA HAMMER.

Kaum hatte der Frost das Streuobst gebeutelt, kamen die Gespinstmotten!

Anlässlich eines GEA-Artikels zu den Gespinstmotten und der aktuellen Lage des Obstes in der Region Neckar-Alb gab es ein Gespräch mit Thilo Tschersich, einem der beiden Kreisfachberater für Obst- und Gartenbau im Landkreis Reutlingen. Infos kamen auch von Joachim Löckelt, Landratsamt Tübingen, und seinem Kollegen Markus Zehnder, LRA Zollernalb – denn dort sieht es kaum anders aus.

Der GEA-Artikel vom 13. Juni 2017 ist im Download-Bereich eingestellt.

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Hier die Fragen und Antworten:

Herr Tschersich – wie ist denn aktuell und allgemein die Lage des Obstes im Landkreis Reutlingen? Können Sie schon die Ausfälle beurteilen? 

Im Streuobst haben wir hier im Landkreis ca. 3.850 ha, die nach einer „Querschnitts-Schadenserhebung“ alle betroffen sind. Im statistischen Schnitt zeigt sich: Schaden von knapp 80% Ausfälle in allen Obstarten der Streuobstwiesen. Dieser Schaden bedeutet also die Erfrierung der Blüten oder die Beschädigung der jungen Früchte an den Bäumen. Dadurch, dass der Frost überall verbreitet war, haben wir schier keinen Baum ohne Schadbild.
(Ausnahme: die spätblühenden Apfelsorten (manche Alte Luiken, manche Gewürzluiken, Spätblühender Taffetapfel)). So sagen also die Prozentzahlen vor allem aus, wieviele Blüten/Früchte pro Baum erfroren sind, und nicht, wieviele Bäume von 100 betroffen sind!

Steinobst
Kirschen gegen 100%, egal an welchem Ort im Landkreis (Alb-Hochfläche oder Vorland)
Zwetschgen sind etwas frosthärter, dennoch gegen 80% Ausfall

Kernobst
– Apfel im Bereich von 60% Ausfall auf der Albhochfläche (die Blüten waren meist noch nicht wo weit entwickelt und daher frostresistenter!), sonst eher 90% Ausfall im Vorland
– Birne verbreitet im Bereich 90% Ausfall – wiederum unabhängig von der Lage

Schalenobst
Walnuss verbreitet klare 100% – die Bäume sahen ja aus, als wäre ein Feuersturm drüber hinweggefahren – schwarze Blättchen, gekrümmt, wie von einer Ascheschicht beim Sturmwind in Windrichtung gebogen und erhärtet – erstarrt, inzwischen aber verbreitet wieder gesunder Laub-Neuaustrieb.

Und hätte die Gespinstmotte den Bäumen geschadet, wenn sie jetzt voller Frucht gewesen wären? 

Selbstverständlich: durch den Wegfall/Wegfraß der Photosynthesefläche, wäre der Baum nicht mehr ausreichend in der Lage gewesen, die Fruchtbildung zu füttern, womöglich wäre ein besonders starker Juni-Fruchtfall zu verzeichnen gewesen. (Das ist eine übliche Selbstreinigung der Bäume, jährlich werden um den gleichen Zeitpunkt herum Früchte abgeworfen, die beschädigt sind wie durch Hagelschlag, oder durch Fraß von Insekten, oder bereits schlecht entwickelt sind durch die schiere Masse an Früchten…). Im Laufe des Juni findet aber ein Laub-Neuaustrieb statt. So oder so. Die Gespinstmotte ist ja nun inzwischen flächendeckend in die Verpuppung gegangen oder fliegt bereits, der Schaden für dieses Jahr hat also stattgefunden und ist zum „Abschluss“ gekommen.

Waren jetzt nur Apfelbäume betroffen, oder auch anderes Obst? 

Laut unseren Beobachtungen sind die Apfelbaum-Gespinstmotten (wisss. Name: Yponomeute malinellus) besonders stark verbreitet gewesen in diesem Jahr. Dadurch, dass die Bäume immer weniger gepflegt werden, macht sich der Befall immer mehr bemerkbar. Sonst gehört es zu der automatisierten Nebenbeschäftigung beim Obstbaumschnitt, die sichtbaren Gelege der Motten mit dem Handschuh einfach abzustreifen und damit bereits in einem Maße zur Bestandsregulierung beizutragen! Wenn Sie mal den Begriff Gespinstmotte in der Suche eingeben, sehen Sie ja die letzten Befallsjahre, wo vor allem dann die Pfaffenhütchen-Gespinstmotte unterwegs war. (wiss. Name: Yponomeuta cagnagella ). Auch die Traubenkirschen-Gespinstmotte (Yponomeuta evonymella). Sie bildet immer wieder sehr auffällige Gespinste. Diese Gespinstmotten gehen zum Teil auch an andere Gehölze über – so habe ich auch an Cotoneaster Gespinste gesehen. Andere Obstarten waren also nach unserem Eindruck nicht betroffen, bis auf vereinzelte Pflaumen/Zwetschgen.

Haben die gestressten Bäume denn noch genug Reserven, um frisches Blattwerk auszutreiben? 

Der Neuaustrieb läuft! Aber in der Tat haben die meisten Bäume kaum mehr Reserven, da sie oftmals schon seit Jahrzehnten nicht mehr gedüngt werden! Hier zeigt sich auch die Dramatik, eines fehlgeleiteten „Bio-Gedankens“, der eher reiner Nihilismus ist: Bio ist Nichts-Tun! Das ist sehr schlecht für die Bäume, wenn Düngung per se abgelehnt wird. Tatsächlich ist es dem Baum egal, aus welcher Quelle der Stickstoff, Kali oder der Phosphor stammt. Es wird der chemische wie organische Dünger in Zellen verbaut – da ist dann nicht mehr festzustellen, ob das aus organischer oder mineralischer Düngung stammt!!

Die Bäume sind in der Regel seit bis zu 30 Jahren nicht mehr gedüngt. Unsere Altvorderen haben jedem Baum im Frühjahr einfach mal locker 200Liter Jauche in ein Gräble im Traufbereich (äusserster Blattwerk-Bereich) gekippt und versickern lassen… Es lässt sich sagen: eine maßvolle Düngung mit einem (stickstoffreduzierten) Volldünger nach Herstellerangaben wäre jetzt eine gute Sache!

Wie sieht es bei Jungpflanzen aus? 

Die sollten ja in der Regel eine besondere Aufmerksamkeit erhalten und in den ersten 5-10 Standjahren sowieso noch keinen Fruchtbehang versorgen müssen…

Und war die Trockenheit der letzten Wochen (also vor den Regenfällen der letzten Tage) nicht auch noch eine hohe Belastung? 

Wieder richtig! Haben Sie schon einen Fachwart-Kurs besucht? In der Tat hatten wir etwas ganz Neues, so wie die Klimatologen vorhersagen für den Klimawandel. Sie sagen nämlich, dass wir eine Zunahme von bekannten Wetterextremen erleben werden sowie neue, „unbekannte“ Wetterextreme erleben werden! Wir hatten 2016/17 eine Dürre im Winter! Das ist doch mal neu! Ganz dramatisch waren die Grundwasserspiegel gesunken und haben die Bäume trockenen Fußes in den Austrieb geschickt. Das war sicher auch wie bergab rollen mit angezogener Handbremse!

Was könnte jetzt noch Schlimmes passieren?

„Schlimmer geht nimmer“ ist auch veraltet – „schlimmer geht immer“ ist das Motto des Klimawandels. Leider. Wir könnten ein starkes Schorfjahr kriegen: eine Pilzkrankheit, die wiederum das gesunde Blattgewebe absterben lässt und den Baum so auch schwächt, bzw. der Assimilationsfläche beraubt. Dieses Jahr haben wir aber kein starkes Schorfjahr, das letzte Jahr hingegen war das stärkste in 30 Jahren. Zusammenhang mit Klimawandel nicht im Vordergrund stehend, aber der Pilz mag es warm und feucht, und da hat das feuchte Frühjahr letztes Jahr gute Grundlagen gelegt!

Die Blattfallkrankheit könnte zuschlagen (wiss. Name: Marssonina coronaria). Die durch den Klimawandel von Italien zu  uns geschwappte Pilzkrankheit entlaubt die Bäume frühzeitig, in feuchten Sommern.

Naja und bizarr wird es, wenn wie vor einer Woche ich mir bei dem verbreiteten Hagel dachte: oh gut, das schlägt die Gespinstmotten-Netze herunter… Also, Hagel ist ein Sommer-Phänomen, das jederzeit wieterhin zuschlagen kann und dann auch Laubfläche reduziert und Verletzungen an der Rinde der Bäume verursachen kann.

Unterm Strich sehen wir aber an jedem Baum-Veteran, dem die Krone oder mancher Hauptast rausgebrochen ist und in dem manche Spechthöhle eingerichtet ist: die Bäume sind doch zäher, als wir Menschen denken können! Die schaffen es auch noch, mit einem belaubten Ast Früchte zu bilden und sich damit zu vermehren! Also die Arterhaltung zu betreiben! Aber wir Menschen wollen ja gesunde große Früchte, und dafür müssen wir die Bäume pflegen: Licht nach innen bringen, dass die Früchte besonnt werden, die Krone durchlichten, damit sie schnell abtrocknen kann und wenig Pilzanfällig ist, die Statik des Baumes im Blick halten, damit nicht Äste unter Fruchtbehang abbrechen…
Vielen Dank, Herr Tschersich!