ANGELA HAMMER.
Sie habe ihm Sorgen gemacht, erzählt Willy Junger aus Stockach. Als Fachwart des Kreisverbands der Obst- und Gartenbauvereine hat man einen Blick für Bäume, vor allem, wenn etwas nicht stimmt. So bat Junger, auch 2. Vorstand des OGV Gomaringen, letztes Jahr Joachim Löckelt vom Landratsamt, sich die Stockacher Friedenslinde mit ihm anzuschauen. Löckelt, der Obst- und Gartenbaubeauftragte des Landkreises Tübingen, bestätigte Jungers Vermutung: „Die Linde ist krank“.
Friedenslinden erinnern an den Krieg 1870/71
Die markanten Linden waren schon seit jeher beliebte Bäume bei Siedlungen, sei es in der Dorfmitte oder auf Anhöhen. Es gab Gerichtslinden, unter denen Gericht gehalten wurde, oder den Tanz unter der Dorflinde. Linden wurden als Ehrung oder zur Erinnerung gepflanzt, etwa an Regierungsjubiläen. Oder eben als Erinnerung an einen überstandenen Krieg: nämlich wie hier auf der Stockacher Höhe in Erinnerung an den deutsch-französischen Krieg von 1870/71. Die über Bronnweiler ist bestimmt auch bekannt. Die Friedenslinden waren in Deutschland sehr verbreitet bzw. sind es heute noch, weil Linden mehrere hundert Jahre alt werden können. Die Lindenallee in Tübingen geht im Kern auf eine Pflanzung von 1508 (!) zurück; berühmt war auch die Ulrichslinde vor dem Unteren Schlosstor, die 1982 durch die jetzige ersetzt werden musste. Ob sie wirklich auf die Zeit Herzog Ulrichs zurückgeht, ist nicht sicher.
Auf der Stockacher Höhe beim Friedhof standen ursprünglich sogar zwei Linden. Eine davon fiel dem Orkan Wiebke vor ziemlich genau 28 Jahren zum Opfer. Jedenfalls bat Junger letzten Sommer die Gemeinde Gomaringen um Sicherungsmaßnahmen in der Krone der alten Linde. Das passierte auch recht schnell und tote Äste wurden herausgenommen, zumal aus Gründen der Verkehrssicherungspflicht und der großen runden Bank in der Nähe. Eine Untersuchungen zur Ursache der Krankheit erfolgte noch nicht. Waren es vielleicht Folgen der Trockenheit in den Sommern zuvor? „Wir warten mal noch dieses Jahr ab“, meint Willy Junger.
Neue Linde von den Stockacher Highspeed-Initiatoren
In Stockach sind die Wege kurz. Nachdem die Gemeinde die Anfrage, ob sie eine neue Linde in der Nähe setzen könnte, an den OGV weitergereicht hatte, erinnerte sich Junger an die Stockacher Aktion mit der Frauenhoffer-Stiftung zum Internet-Breitband-Ausbau. Die Initiatoren – Martin Lennig, Rainer Denk und Stefan Junger – übernahmen die Investition von 200 Euro ausdrücklich privat und finanzierten zu dritt den Kauf einer rund 6 Jahre alten „Tilia cordata“ (Winterlinde).
Am vergangenen Wochenende kam das junge hübsche Bäumchen in angemessenem Abstand von der alten Linde in den Boden; Günter Letz und Willy Junger, die Vorstände des Obst- und Gartenbauvereins Gomaringen, übernahmen mit Alexander Walter den Pflanzschnitt und die Pflanzung, der OGV die Bewirtung des kleinen Stockacher Festakts. „Wir wollten keinen allzu großen Baum versetzen“, erklärt Junger, „er wäre recht schwer, und das Anwachsen wird kritischer, je älter Bäume sind“. Bernd Kemmler und Roland Luz vom OGV-Ausschuss sowie Bürgermeister Steffen Heß waren ebenfalls behilflich.
Die neue Linde hat nun in der Obhut der großen Bäume Zeit und Platz zum Wachsen; 15 bis 20 m kann ihr Kronendurchmesser im Erwachsenenalter durchaus erreichen. Wobei – Linden wachsen recht schnell, und die wohl erst recht. Immerhin bekam sie von allen fünf Pflanzern feines Berg-Bier zum Anwachsen spendiert.
Erinnerungsbaum mit Fernblick
Die alte Linde erinnert an den „gewonnenen“ Krieg gegen Frankreich 1871. Nach den vielen Jahrzehnten einer herzlichen Freundschaft mit unserem Nachbarland sollte man sie aber heute gewiss als Freundschaftslinde betrachten und würdigen. Vielleicht darf ja der neue Stockacher Baum mit dem Namen „Highspeed-Linde“ – in Erinnerung an die private Breitband-Ausbauaktion – auch ein bisschen an ein schnelles und intensives Band der kurzen Wege nach Frankreich erinnern!:-)
(Titelbild: Daniel Schneider)